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Vertextete Gedanken – getextetes Leben
Perspektiven
Vergeblich bemühte sich der Rundfunk, -fernseh und Zeitungsjournalist Kurt Majoran um den ausgesetzten Preis für die mieseste Frauendarstellung des Jahres. Trotz aller Befleißigung und obwohl er sich die Beine einzeln und auch die übrigen Glieder [ausriß], er schaffte es nicht, umsonst hatte er sich bemüht, er war mißverstanden worden.
Von allen Ufern zollte man ihm Beifall, Mann und Frau, alle waren begeistert und bewunderten Kurt Majoran's Leistung, seinen Einfallsreichtum und die gewählte Sprache.
Nicht nur der Bund der geschlagenen Frauen stimmte dafür, auch Männer, die Seide lieben, votierten für ihn. Er, der eingeschworene, der verbiesterte, der wirklich irre Frauenhasser, er wurde aufgrund der vollbrachten wirklich übermenschlichen Leistungen, die er quer durch alle Medien auf Hörer, Seher und Leser losließ, aufs allerherzlichste gelobpreist. Und des Preisens wollte es kein Ende nehmen. Es hallte echoartig bis in den hintersten Winkel, selbst das letzte kleine Örtchen wurde erreicht.
Daß der Geehrte sich mittels der Schleifen an den gelieferten Lorberkränzen kurz vorm Muttertag erhängte, das war als Programmpunkt in dieser Form wirklich nicht vorgesehen.
So jedenfalls betonten alle Beteiligten es nachhaltig und bedauerten ihn aufs tiefste.
Mann sprach die Hoffnung aus, das Werk des leider so früh vom Schicksal dahingerafften, des Unvollendeten möge nicht ohne Nachfolger bleiben. Möge der zündende Funke alle ergreifen, auf daß die Welt von morgen besser und vom Bösen bereinigt paradiesischen Zeiten entgegensehen könne.
Frank Arlig
Bad Homburg, 4. November 1979
Vorn, ganz vorn
steht der Penis
er allein zeichnet sich
ab und beutelt die Seide
bewundernd blickt selbst der Mann
zu sich herauf, seit Ewigkeiten
er hält sich oben.
Tief unter ihm stehen die andern vor
seinem Postament, nur Tauben scheißen
ganz ungehemmt auf seine Locken, ihm aufs
Hemd, auf seinen Panzer,
der Helm, grünspan bedeckt
glänzt nicht mehr, jetzt
endlich wird auch
die Vulva entdeckt.
Frank Arlig
Bad Homburg, den 21. Januar 1981
Eine Seele von Mensch
Ich
bin immer erste Person
Ich
komme immer vor mir dran
Ich
war schon da, als
ich noch gar nicht an mich
dachte
viel zu bescheiden, rücksichtsvoll und
nachsichtig bin
Ich
ich stehe bis auf's Messer
für mich ein, denn ich weiß, auf was
Ich mich mit mir einlasse, wenn ich
mich in meinem Schlepptau vorwärts
bewege. Anderes lasse ich hinter mir,
unter mir aber, nichts bleibt.
Ich weiß mehr, viel mehr
ich habe auch
ganz andere Gefühle
Ich bin wohlvertraut
mit mir bin ich
ein Herz
Ich bin
wirklich
Ich bin ... eine Seele.
Frank Arlig
Bad Homburg, 5.4. 1981
Der Biß ins Gesäß der Frau
Man braucht als Mann dazu
gute Zähne, einen sauberen Atem,
Zielsicherheit bei einer schlanken Frau,
Hemmungslosigkeit bei einer starken Frau
und nicht zuletzt braucht mal als Mann
für einen Biß ins Gesäß der Frau
eine Frau.
Frank Arlig
5.2.1981
Es standen drei Bärte
Es standen drei Bärte
am Brunnen vor dem Tore
um die Wette.
Der erste schlief ein,
es schlief der zweite
als auch der Dritte endlich einsam schlief,
kam die Lust hermaphroditisch, vehement in ihre Träume.
Sie einigten sich,
der eine von vorn,
der andere im Gegenpol,
der Dritte endlich erstickte vor Lust am steilen Traum.
Die Sonne schien, sie wachten auf, verschämt
und endlich merkten sie, daß alles nichts als Traum gewesen war.
Der erste, der schlich weg,
der zweite ging
ungestört und endlich frei von jeder Konkurrenz,
der dritte wartet noch heute auf seinen Prinz.
Frank Arlig
(Bad Homburg, 22. Oktober 1978)
Anleitung für Männer
Bist du stark
bist du schwach
bist du schlau
oder biste blöd
Hast Du deinen Schwanz
fest in der Hand
läßt du dir nichts
von anderen bieten
bist du rundherum ein Mann?
gefühlsbetont und intensiv
lustvoll allem Schönen hingegeben
hast du die heile Welt von Buxtehude
dann lass doch endlich einmal alles frei
und gib der Welt was ab
und sei ganz einfach Mensch
Frank Arlig
(Bad Homburg, 30. September 1980)
Wirklich, du bist der erste
einstimmige Chor,
du bist
so vielfältig.
Ist es nicht eigentlich
für alle unfaßbar, daß
es so etwas wie dich
ungestraft gibt?
...aber reden wir besser nicht
zu viel über dich, wer weiß
was dann von dir
übrig bleibt.
Frank Arlig
(Bad Homburg, 11. Juli 1981)
Kumari, du lebende Göttin aus Katmandu
Schau mit den Augen der Weisheit auf mich,
oh du große, du Vernichterin männlicher Dämonen.
Erhebe dein Angesicht und schenke mir Gnade,
denn für dich bin ich nichts, nur ein Mann,
doch ich fürchte nicht Indra Djatrhah,
ich freue mich auf dich und den Tag.
Dein Segen wird meine Erhebung,
nur du, königliche Kumari, bist Garant für mich.
So bitte mich um Gnade, damit ich deinen gläubigen Betern
den Glauben nicht nehme. Ich bin und bleibe für dich,
du Königin, auch als Gewöhnlich-Sterblicher,
ein Mann.
Ich bin es nicht, der die Götter fürchtet,
ich nehme dich und bin für dich dann
dein Mann.
Frank Arlig
(Bad Homburg, 8. Juni 1981)
Nicht nur Mann,
ein weißer Mann bin ich
und groß und breit
sind die Schultern.
Die Partie um meinen Mund herum ist
männlich streng und sehr markant.
Vom Typ her nordisch,
wäre Rassismus ringsumher
und nicht nur insgeheim
gefragt.
So oder so, ich bin ein festes Glied
der Kette - Herrenrasse,
Ein Leben zu Pferde,
die Heimat ist ein Rittergut
in deutschen Landen.
Von einer Frau mit ,von, zur Welt gebracht,
bin ich ein deutscher Mann und kenne meinen Wert:
Als Sieger steh ich immer oben,
hoch auf dem Podest.
Nur Gott steht über mir,
vielleicht der Kaiser
oder ein anderer, der
gerade mal der Führer ist.
Frank Arlig
(Bad Homburg, 6. Mai 1980)
Mehr Männer, als Männer es glauben würden, beschäftigen sich
nicht nur mit sich, sondern fast alle Männer beschäftigen sich
mit Männern, zum Beispiel als Beispiel:
Wenn ein Mann mit Zahnschmerzen vor mir sitzt,
ich nehme mir ein Beispiel, so also
Wenn ein Mann vor Ärger über den Zug, der vor ihm fuhr, platzt,
ich nehme mir ein Beispiel, so also
Wenn ein Mann eine Frau erobern will, die ihn nicht will,
ich nehme mir ein Beispiel, so also
Wenn ein Mann am Becken steht und nicht pinkelt,
ich nehme mir ein Beispiel, so also
Wenn ein Mann einen Mann anmacht,
so also, so
Wenn ein Mann, ein Mann wie Tarzan
sich auf die Brust trommelt, so also
Wenn ein Mann, ein richtiger Mann
auf seinem Pferd reitend die Sonne grüßt
und nach dem Schuß aus dem Hinterhalt
sterbend zu Boden gleitet, so also
Wenn ein Mann, ein Mann wie Gene Kelly
im Regen durch Pfützen marschiert, so also
Wenn ein Mann, so ein richtiger Liebhaber,
ein heißer Mann, ein brünftiger, einer,
der seiner Frau alles verspricht, ihr
den Himmel auf die Erde runterzitiert, ihr
schlagend sein Herz wieder entreißt
so also, so...
Wirklich, in der Tat tatsächlich, mehr Männer, als Männer es glauben,
interessieren sich für nichts als nur für Männer.
Und manche Männer interessieren sich auch für Frauen.
Frank Arlig
(7. Juli 1980, Bad Homburg)Ich sage mich auf
Ich bin hetero
ich bin homo
ich bin ich
und was bin ich
sonst noch?
Ich bin gläubig
ich bin jüdisch
ich bin christlich
ich bin Zwilling
aber ich bin nicht
mein Bruder
Ich bin mein Spiegel
äußerlich kenne ich mich genau
ich weiß, wie ich bin
ich bin immer mit mir zusammen
ich bin für mich
mich nehme ich wahr
und irgendwie liebe ich mich
ja, ich liebe mich wie ich bin
liebe mich wie ich nicht bin
ich liebe den, der ich morgen bin
ich bin mein Traum
ich übe mich, ich zu sein
ich will sein wie du
und mit dir will ich sein
ein Fleisch.
Rechtzeitig lerne ich mich
auswendig, denn
ich will mich erkennen, wenn ich
im Dunkeln auf mich stoße
Frank Arlig
(September 1980)
Pressemitteilung zum Tode von Karl Rudolf Pigge, alias Frank Arlig
15. September 1932 (Pirmasens) bis 14. November 2018 (Bad Nauheim)
Redakteur und Chefredakteur von "akt - Aktuelles Theater", Frankfurter Kulturzeitung (Frankfurter Bund für Volksbildung)
Schriftsteller, künstlerischer Leiter "Tsamas-Verlag", Herausgeber des Kulturmagazins "notabene", Kultur-Redakteur für den Schwarzwälder Boten und die Badische Zeitung, stellvertretender Chefredakteur des "SchuhMarkt", Galerist, Maler und Conferencier
Urnenbeisetzung mit bunter Erinnerungsfeier und letztem Applaus am Samstag, 1. Dezember 2018, 13 Uhr, Waldfriedhof Bad Homburg
Schmitten/Taunus, 18. November 2018. Am Mittwoch, dem 14. November 2018, verstarb der Autor, Journalist, Maler, Gewerkschafter, Galerist, Kunstsammler und Friedensaktivist Karl Rudolf Pigge nach kurzer schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie mit 86 Jahren in Bad Nauheim.
In den 1960er Jahren war Pigge als Kultur-Redakteur in seiner ersten Wahlheimat Villingen für den Schwarzwälder Boten und die Badische Zeitung aktiv. Parallel hierzu war er als Schuhvertreter hochwertiger Damenschuhe ("Elka") in Süddeutschland tätig. Der einer Schuhfabrik-Dynastie abstammende Pigge machte eine kaufmännische Lehre bei der Schuhfabrik Ludwig Kopp AG in Pirmasens und besuchte Schauspielschulen in Hannover und Hamburg und lernte u.a. bei dem Wirtschaftsredakteur Wolfgang Semmler in Pirmasens. In Villingen etablierte er das "Villinger Kunstkabinett" und richtete Vernissagen mit bildenden Künstlern (u.a. Esteban Fekete, Horst-Egon Kalinowski, Felix Schlenker) aus.
Pigge verlegte in den 1960er und 1970er Jahren als künstlerischer Leiter im Tsamas-Verlag Bücher verschiedener, zum Teil sehr junger Autoren (Dieter Kühn, Gabriele Wohmann, Nikolai Nor-Mesek, Peter M. Michels, Gerd E. Hoffmann, Walter Aue), die sich u.a. kritisch mit Themen wie Überwachungssysteme oder Datenschutz beschäftigten oder die amerikanische Anti-Kriegs-Bewegung dokumentierten. Wichtige Anthologien des Tsamas-Verlags waren "typos 1" und "typos 2", herausgegeben von Walter Aue.
1970 zog Pigge mit seiner Frau und damals drei Kindern nach Bad Homburg, führte dort eine kleine Galerie und wurde stellvertretender Chefredakteur des damals in Frankfurt erscheinenden "SchuhMarkt". Unter seinem Künstlernamen "Frank Arlig" war er Vorsitzender des hessischen Schriftstellerverbandes und wirkte aktiv in der Friedensbewegung mit. Als Frank Arlig tourte er mit einer ersten Multimedia-Show mit Klängen, Dias und Texten unter dem Motto "Der Mann, der aus dem Dunkeln liest…" durch Hessen.
1983 zog Pigge von Bad Homburg nach Schmitten im Taunus in ein ehemaliges Landhotel. Die späten 1980er Jahre waren geprägt von seiner Arbeit als Frank Arlig für "akt - Aktuelles Theater". Die monatlich erschienene Zeitung wurde vom Frankfurter Bund für Volksbildung herausgegeben. Pigge begann als Redakteur für das monatliche Interview. Von einer 8-seitigen Programmzeitung entwickelte Pigge "akt" zu ihrer 16-seitigen finalen Form. Im Zuge der Sparpolitik im Bereich der Kultur in Frankfurt wurde die bis dahin im Druckhaus der Frankfurter Rundschau hergestellte "akt" schließlich im Jahr 1994 eingestellt.
Pigge veröffentlichte in den darauffolgenden Jahren in verschiedenen Anthologien, entwickelte Buch- und Theaterkonzepte und schrieb an Romanen zur Zeitgeschichte und über das Älterwerden. So behandelt sein "Eingegrünt" schon vor den TV-Experimenten der 2000er Jahre das Leben von wahllos zusammengewürfelten Menschen mit ungleichem sozialen Hintergrund. Darin verarbeitete Arlig auch die Folgen des zunehmenden Klimawandels, die Herausforderungen des Zusammenlebens von Alt und Jung und der andersartigen Sozialisation der "Wessis" und "Ossis" kurz nach der Wiedervereinigung. Seine Interpretation der Folgen des Zweiten Weltkriegs für das Zusammenleben der Überlebenden führt zu seinem letzten, bislang unveröffentlichten, Roman "Durch den Wolf / Komm: Kuscheln".
Pigge engagierte sich im Kreise der Schwulen- und Lesbeninitative in Frankfurt und bereicherte das Café Karussell, dem "Treffpunkt für Männer liebende Männer der Generation 60plus" mit Lesungen und Moderationen und veröffentlichte in den schwulen Stadtführern "Berlin von hinten" und "Frankfurt von hinten".
Pigge war bis zu seinem Tod 62 Jahre mit der Kauffrau und Journalistin Ursula Pigge verheiratet, hatte vier Kinder, die heute in Hessen und Niedersachsen leben. Zu seiner Großfamilie gehören außerdem zehn Enkel, zwei Urenkel und zehn Patchworkenkel.
Die Urnenbeisetzung mit bunter Erinnerungsfeier und letztem Applaus findet am Samstag, dem 1. Dezember 2018, auf dem Waldfriedhof in seiner zweiten Wahlheimat Bad Homburg vor der Höhe um 13 Uhr statt.
Alte Zeiten
Es sind die alten Zeiten
fürwahr
sie öffnen die Hirne
Schulanfänger gedenken ihrer
Kindergartenzeiten, sie
lächeln im Rückblick noch nicht
Studenten erwarten Freiheiten
die keine sind
im Gegenteil: wie in der Schule!
Ewige Junggesellen wollen sich
zu Aussprachen anlehnen
im Beichtstuhl an Holz
im Leben an Fleisch und Blut
Eingeübte Rentner blicken zurück
auf alles und lächeln mit Tränen
sie wissen zu erzählen, sie schweigen
Warten
Warten auf den Kaffee
warten auf den Zug
warten auf die Rückkehr
Das Gefühl von gestern
gehört morgen der Vergangenheit
Jammern und klagen
kein Fundbüro in der Nähe
keine Versicherung zahlt
Ich habe es verloren
irgendwann zwischen den Zähnen
zwischen den Geleisen
in verschiedenen Richtungen
unauffindbar
verschwunden
Gefühle lassen sich nicht festnageln
zum jederzeitigen Betrachten an Wänden
treppauf, treppab
Eine Tages, morgen ...?
warten auf den Kaffee
alles wie gehabt
Wunden lecken.
Worte, die ich spreche
Worte, die ich spreche, gibt es
schon längst
nicht mehr.
Sie haben mich verlassen
Worte, die mir gehörten
Wir glaubten an ihren Besitz
Neue Wörter werden ausgesprochen
fühlen sich fremd, gar falsch an
nachhaltig sie lernen, sie lehren
täglich neu wie Kohl, Salat, wie Radieschen.
Auch Wörter sind zu waschen.
|
Etwas weniger mehr
Lass uns etwas zusammen machen
ein Gedicht
ein Theaterstück
einen Roman
ein Bild, Foto, Gemälde
oder gar
einen richtigen high-budget-Film
über das Urhebergesetz
können wir später verhandeln
Hauptsache: etwas weniger mehr!
|
Aber, aber!
Nippen muss man, nippen
nicht alles auf einmal heruntergiessen
das hat schon Ewigkeiten gelagert
Dieser Schluck braucht ein langes Leben
überleben
im Whisky-Fass
Ja, der Partei trete ich bei!
Guten ...
Willkommen im Leben:
Die Frühlingslämmer sind da
und bald ist Ostern.
Noch ein bisschen wachsen
dann ist die Zeit
zum Abstillen gekommen
Es lässt sich nicht leugnen
wir brauchen die Milch der Mütter
für Frisch- und Altkäse seit langem
La Jana auch für dich
Weg oder weg
Ein weiter Weg.
Stolpere nicht über Wurzeln und Steine,
über die eigenen Füße, sinnlose Sprüche;
geh übers Wasser,
rauf auf den Turm,
Richtung Horizont.
Dann am Ende angekommen, vor der Endlosmauer,
such Gott, finde Gott, verlier ihn.